Christliche Bildwelten erkunden

 

Er ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene der ganzen Schöpfung. (Kol 1,15)

 

Gnadenstuhl Landgrafenpsalter, Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, HB II 24, fol. 172vGnadenstuhl aus dem Landgrafenpsalter, © Württembergische Landesbibliothek Stuttgart, HB II 24, fol. 172v

Prägender Einfluss

Die Bilderfreundlichkeit in den beiden großen Traditionen des Christentums, der orthodox geprägten Ostkirchen und der römisch-katholischen Kirche im Westen, hat einen kaum zu ermessenden Einfluss auf die europäische Kultur und die der Moderne ausgeübt. Diese Bejahung bildhafter Darstellungen steht allerdings durchaus in Spannung zu den beiden anderen großen monotheistischen Religionen: Judentum und Islam lehnen bildliche Darstellungen nahezu konsequent ab. Doch nicht nur dies; auch innerchristlich gibt es starke Reserven, besonders in den Kirchen der Reformation.
 

Bild der Bilder

In der zweiten Hälfte des ersten Jahrtausends wurde die Kontroverse um das Bilderverbot vehement ausgetragen. Im Fokus stand das Christusbild: „Wie kann man den im Bild darstellen wollen, in dem der Unermessliche Mensch geworden ist?“, fragten die Gegner der Bilder. Deren Befürworter antworteten zentral mit dem Wort des Kolosserbriefs, Christus sei „das Ebenbild des unsichtbaren Gottes“ (1,15); nach seiner menschlichen Gestalt könne, nein müsse er deshalb geradezu bildlich dargestellt und vermittels des Bildes verehrt werden.
 

Unaufhebbarer Zwiespalt

Eine solche Lösung folgt dem Bedürfnis, das zu schauen, was einem wichtig und heilig ist. Freilich liegt die Gefahr nahe, deretwegen das Alte Testament Bilder verboten hatte: dieses so Umschriebene verfügbar zu machen und nicht nur die eigenen Vorstellungen, sondern auch „die Wahrheit“ auf diese objektive Gestalt festzulegen. Doch widerstreben die Bilder selbst, jedenfalls die großen, wegweisenden, dieser Versuchung. Sie wollen weder schön sein noch bestimmte Sachverhalte festzurren. Wenn man sie ernst nimmt und sich auf sie einlässt, kann klar werden: Sie treten zurück. Sie deuten an, erschließen Zusammenhänge. Sie verlangen, das Kleine wahrzunehmen, das, was nicht dem ersten Blick zugänglich ist. Sie fordern heraus – sich einzulassen auf den, der menschliches Fassungsvermögen, und schon gar das eines Bildes, restlos übersteigt.
 

Buchmalerei

Magnificat legt besonderen Wert auf die mittelalterliche Buchmalerei. An ihr wird trotz (oder gerade wegen) ihrer oft künstlerisch hochwertigen Form deutlich, dass ihre Schönheit nur das eine ist. Ihr Wesenskern liegt auf einer geistlichen Ebene: die, der Betrachtende soll zu Besinnung angeregt, zur Meditation eingeladen werden. Diese Dimension kunstgeschichtlich und geistlich zu erschließen, betrachtet Magnificat als herausragende Aufgabe.

Johannes Bernhard Uphus

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